Beginning

Dea Kulumbegashvilis aufwühlendes Debüt ist ein symbolträchtiges Portrait einer Frau und ihrer Gemeinde.
Das brennende Gemeindehaus von Yanas Familie in "Beginning"

Ohne richtige Kinostarts konnten in letzter Zeit nur wenige neue Produktionen Aufsehen erregen. Dea Kulumbegashvilis Debütfilm “Beginning” sorgte dann doch auf dem San Sebastian Filmfestival für Furore und räumte Preise für den besten Film, Regie, Drehbuch und beste Darstellerin ab. Mehr als verdient, denn dem abstrakten Portrait einer Frau in ständiger Spannung mit ihrer Umwelt gelingt es extrem selbstsicher mit herausfordernden Themen umzugehen und sie dabei in wunderschöne Bilder zu verpacken.

In “Beginning” leiten Yana und ihr Mann eine kleine Dorfgemeinde von Zeugen Jehovas. Trotz wiederholter Angriffe auf die Gemeinde und Yanas Sorgen um das Wohl ihrer Familie, will ihr Mann dort bleiben. Doch die Gewalt nimmt nur zu: Ein Polizist belästigt Yana und vergewaltigt sie schließlich sogar. Kulumbegashvili zwingt uns in langen, unbewegten Takes, Yanas Leben zu beobachten. Je länger die Bilder anhalten, umso mehr erkennen wir die psychische und physische Gewalt, die Yanas Alltag begleitet.

Yana ist eine Frau in all ihren privaten und gesellschaftlichen Rollen. Sie nimmt eine symbolische Rolle von Weiblichkeit ein: Als Mutter, Frau, Lehrerin, Opfer und schließlich auch Täterin. Es geht nicht primär um ihre Reaktionen und Persönliche Entwicklung, sondern wie ihre Beziehungen zu anderen, unser Bild von ihr beeinflussen. Auf den Mann, der sie belästigt, reagiert sie in passiver Schockstarre. Ihre Ehe basiert mehr auf Glauben, als auf Verständnis füreinander. Zu ihrer Rolle als Mutter hat sie scheinbar keinerlei Bezug. Diese verschiedenen Seiten, Ereignisse und Aufgaben von ihr wirken wie Fremdzuschreibungen und nicht so als hingen sie mit ihrem Wesen zusammen. Auch wenn wir Yana oft passiv in diesen Rollen erleben, fügt sie sich nie einer Kategorisierung. 

Yana liegt auf dem Waldboden und hat ihre Hände zusammengefaltet

“Beginning” glänzt mit seiner präzisen Regieführung. Mit klarem Framing baut die Regisseurin Spannungen zwischen ihren Figuren auf, sodass die Bilder stellenweise erdrückend werden. Man möchte wegeschauen, wären die Einstellungen nicht so verdammt schön. Kulumbegashvili spielt mit symbolischen  Motiven und Kompositionen, die den Orten eine transzendentale Kraft verleihen. Das georgische Dorf inmitten szenischer Landschaft wird zu einem Mikrokosmos transformiert, in dem Yanas Leben stattfindet. Wir sehen darin Unsicherheit und Gewalt, sowie Momente kompletter Ruhe und Routine. Yana zerbricht nicht an den brutalen Beziehungen, sondern vereint all diese Ereignisse mit ihrem Wesen. Den Zuschauer*innen wird dadurch nie wirklich möglich, mit ihr zu leiden oder sie nachzuvollziehen. Kulumbegashvili erlöst uns nicht, indem sie Yana eine klare Rolle zuweist. 

Man darf sich fragen, was aus “Beginning” geworden wäre, wenn er wie ursprünglich vorgesehen in Cannes prämiert hätte. Mit seinen schwer erträglichen Szenen und meditativen Inszenierung ist “Beginning” ein Film, den man ausdiskutieren muss und das am besten nach dem gemeinsamen Kinobesuch. Natürlich tut das Release auf MUBI der Reichweite des Films gut. Doch die fulminante Bildsprache, das Spiel mit der Bedeutung und vor allem Yana, diese unzugängliche Frau die “Beginning” so facettenreich und symbolträchtig macht, hätten die Gespräche vor dem Kinosaal wirklich verdient.

„Beginning“ läuft jetzt auf MUBI