Werbung in Serienform

Collage von Bildtitelseiten

Die Amazon-Prime Serie „Bild. Macht. Deutschland?“ ist ebenso reißerisch, platt und unseriös wie die Zeitung, die sie porträtiert. Aber was am Schlimmsten ist: Selbst bei der Bild ist der Redaktionsalltag ziemlich langweilig.

 

Was will ein Julian Reichelt, Chefredakteur der auflagenstärksten Tageszeitung Deutschlands, eigentlich noch erreichen? Was ist das für ein Mensch, der sich den Thron des Boulevards erkämpft und dann auch nicht mehr abgegeben hat? Was sind das für Menschen, die die Seiten der Bild mit ihren Gedanken füllen? Eigentlich spannende Fragen, jede*r möchte doch erfahren, was in der kontroversesten Redaktion Deutschlands hinter den Kulissen geschieht. Deshalb ist eigentlich die zentrale Frage: Wird uns die Amazon Prime Serie „Bild. Macht. Deutschland?“ einen genauso neuen wie spannenden Einblick in ebendiese Redaktion geben?

 

Zumindest die letzte Frage kann man problemlos beantworten: Nein. Denn obwohl im Intro der ersten Folge eine Texttafel großspurig ankündigt, dass das Kamerateam exklusiv ein Jahr lang hinter die Kulissen der Zeitung schaute, ist die Serie keine investigative Recherche á la Günter Wallraff, der sich in den 70er-Jahren undercover in der Redaktion einschlich und drei Bücher über das Innenleben der Bild schrieb. Nicht einmal im Ansatz. Stattdessen ist die Serie eine überlange Werbung, die in knapp 300 Minuten zeigt, wie toll und wichtig der Boulevard aus dem Hause Axel-Springer ist.

 

Überdramatik in der Bild 

Redaktionskonferenz, etwa zum Zeitpunkt der ersten Corona-Welle. Julian Reichelt ist wütend. Nervös kaut er auf Gummibärchen herum, seine Schuhe hat er ausgezogen. Seine Stimme ist erhoben: „Wir sitzen hier und wir haben Nichts. Und Nichts geht einfach nicht“, und weiter, in ebenso erbosten Tonfall: „In einer Zeit, in der unsere Auflage morgen um die Hälfte einbrechen kann, [müssen wir] eine wirtschaftliche Perspektive haben.“ Gesenkte Blicke im Konferenzraum.

Julian Reichelt wütend während Redaktionskonferenz 

Nicht nur hier wirft Reichelt seinen Kollegen dramatische Worte an den Kopf. Er will sich als harter Hund präsentieren, als Journalist, der ohne Rücksicht auf Verluste bestimmt, wo es langgeht. Und der auch mal auf den Tisch haut, wenn es sein muss. Die Macher*innen der Prime-Serie tun ihm den Gefallen und präsentieren ihn gerne so.

 

Immerhin bekommt der Zuschauer so zu Gesicht, welches Image die Bild gerne von sich hätte. Ein Mitarbeiter sagt in der Doku: “Wir sind dazu da, die Mächtigen zu kontrollieren.” Diese Aussage bleibt unwidersprochen stehen, es soll gezeigt werden: Vielleicht empfinden manche die Boulevardzeitung als kontrovers, aber am Ende dient sie vor allem als Organ der Kontrolle der Mächtigen. Das, was guter Journalismus auch sein sollte. 

 

Der Look der Serie gleicht einem Image-Film. Von den Bildern, die gezeigt werden, bis hin zum Inhaltlichen: Mehr Werbung geht eigentlich nicht. Kritische Stimmen kommen nur in Form von Fußball-Spieler Mehmet Scholl und SPD-Politiker Karl Lauterbach vor. Insgesamt haben sie eine Screen-Time von 2 von fast 300 Minuten.

 

Mainstream will Opposition sein

Also: Was möchte denn nun ein Julian Reichelt? Schauen wir uns dafür doch mal die US-amerikanische Serie „The Fourth Estate“ an. Hier wird ein Blick hinter die Kulissen der New York Times gegeben. In der Serie wird die Zeitung als ein Widerstands-Organ inszeniert, das gegen das politische Establishment kämpft – und wenn man sich Reden von führenden Republikaner*innen anschaut, ist diese Inszenierung nicht ganz falsch. „Bild. Macht. Deutschland?“ versucht das Gleiche: Aus Bild-Redakteur*innen kontroverse anti-Mainstream Figuren zu machen.

 

Jedoch äußern sich so gut wie alle Politiker*innen der Regierungsparteien, die für die Serie interviewt wurden, positiv bis überschwänglich über das Boulevardblatt. Es ist schwierig eine Zeitung als oppositionell zu inszenieren, wenn die Regierung sie liebt. „Bild. Macht. Deutschland?“ ist kolossal lächerlich.

 

„Spotlight“ ist ein preisgekrönter und auch bei den Zuschauern äußerst beliebter Hollywood-Film über Journalismus. In dem Spielfilm geht es um vier Journalist*innen, die über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche recherchieren. Sie sind nur vier Personen, aber durch ihren Drang, die Wahrheit herausfinden zu wollen, schaffen sie es, trotz Widerständen von oben, alles ans Licht zu bringen. 

 

Beim Schauen der Bild-Doku beschleicht einen das Gefühl, die Macher:innen wollten Julian Reichelt wie einen Spielfilm-Protagonisten inszenieren. Das wird dem Chefredakteur gefallen, denn so kann er sich weiterhin als missverstandenes Journalismus-Genie darstellen. Als engagierter Kämpfer für die Gerechtigkeit. Um festzustellen, dass er keiner ist, reicht allein ein Blick in seine Zeitung.