I´m thinking of crying – Ein Dankesbrief an Charlie Kaufman

Ein Blatt Papier

Lieber Charlie,

Ich hoffe doch, ich kann dich so nennen? Oder soll ich lieber beim formalen Mr. Kaufman bleiben? Um ehrlich zu sein, würde sich das für mich falsch anfühlen. Wieso? Nun, Ihre, nein, deine Filme, zeichnen, wie nebenbei, ein präzises Porträt ihres Autors. Von dir. Ich habe das Gefühl, ich würde dich kennen, Charlie. Wenn ich deine Filme schaue, sehe ich dahinter einen Mann, der melancholisch, sentimental, vielleicht ein bisschen wehleidig ist. Ich sehe aber vor allem einen Mann, der die Gefühle der Menschen versteht, der weiß, was in ihnen vorgeht. Was in mir vorgeht.

Aber ich möchte nicht vorgreifen. Ich schreibe dir, weil ich deinen letzten Film gesehen habe, „I´m thinking of ending things“. Ich sehe dich eher als Drehbuchautor, dabei ist das schon dein drittes Regie-Werk. Dein Regiedebüt war „Synecdoche, New York“. Ein Werk solcher Poesie und Schönheit, zwischen Realität und Metaphysik, dass es bis heute unerreichbar scheint. Dann „Anomalisa“, eine kleine, süße Geschichte, die im ganz Privaten, ganz Persönlichen, ganz Intimen spielt. Ich nehme an, dich interessiert die Wahrheit des Individuums, eine gewisse Reinheit der Gefühle. Du möchtest wissen, was Menschen wirklich denken, wie sie wirklich reden, was sie, ohne es selbst zu wissen, mehr als alles andere wollen. Du magst traurige, echte Themen und deshalb mag ich dich.

In einem Interview sagtest du, dass du den Stoff für „I´m thinking of ending things“ ausgesucht hast, weil du ohne die Romanvorlage kein Budget bekommen hättest. Die vielleicht wahre Tragödie: „Synecdoche, New York“ hat am Box-Office keine 5 Millionen Dollar gemacht, „Anomalisa“ 5,7 Millionen. Die Tragik von Künstlern, die die Wahrheit des Intimen suchen: Niemand möchte die Wahrheit sehen. Auch in deinem neuen Film geht es wieder um Themen, an die niemand gerne denkt. Die aber trotzdem Teil eines jeden Lebens sind. Einsamkeit, Demenz, Alt Werden, Verlust, Tod. Ganz intim. Ganz persönlich. Ganz traurig.

Aber ich möchte nicht weiter so kryptisch bleiben, denn die Ausgangssituation von „I´m thinking of ending things“ ist simpel. Eine Frau besucht das erste Mal die Eltern ihres Freundes. Die leben auf einer Farm irgendwo im nirgendwo, umgeben von Vieh und Schnee. Die Frau denkt, dass es der letzte gemeinsame Ausflug wird, denn: I´m thinking of ending things. Während der Fahrt rezitiert sie ein Gedicht:

Coming home is terrible
whether the dogs lick your face or not;
whether you have a wife
or just a wife-shaped loneliness waiting for you.
Coming home is terribly lonely,
so that you think
of the oppressive barometric pressure
back where you have just come from
with fondness,
because everything’s worse
once you’re home.

Vielleicht hättest du eher Dichter werden sollen, ein Poet. Ein trauriger Dichter, der über seine traurigen Gefühle schreibt.

Dabei habe ich dich als ein alberner Autor kennengelernt. „Being John Malkovich“, dein Autorendebüt, war der erste Film von dir, den ich sah. Der Film ist witzig und absurd, er arbeitet sich (fast schon kafkaesk) am moderne Arbeitsalltag ab. John Cusack, der einen Hippie in John Lennon Manier spielt, findet in seinem Büro eine Art Schleuse, die ihn in den Kopf von John Malkovich führt. Für 15 Minuten steuert er den Körper von John Malkovich. Schon da hätte ich wissen müssen, was dich, Charlie, am meisten interessiert: Was steckt im tiefsten Inneren eines Menschen? Liebe, Identität, Körper, Zeit (oder die Abstinenz selbiger); deine Filme rattern durch das postmoderne Repertoire der zeitgenössischen Themen.

I´m thinking of ending things. Ich hoffe, du denkst noch nicht daran, sondern arbeitest schon an deinem nächsten Werk. Bis jetzt ist deine Filmografie eine Aneinanderreihung an Kunstwerken: „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“, in dem Jim Carrey´s Charakter seine Erinnerungen an eine vergangene Beziehung auslöschen möchte – doch zuvor muss er sie erneut durchleben. Oder „Adaptation“, eine zweifelhafte Liebeserklärung an das Schreiben an sich. Du machst keine Durchschnittsfilme, deine Werke sind nie ganz okay. Sie sind immer etwas Außergewöhnliches, Neues, Kreatives. Und sie sind brutal ehrlich. Zu sich selbst, zur menschlichen Natur, zu dir.

„I´m thinking of ending things” bringt diese Ehrlichkeit auf ein neues Hoch. Während der Film als langsame, aber poetische Liebesgeschichte beginnt, endet er in einer vollständigen Auflösung des Films an sich. Je weiter er fortschreitet, desto experimenteller wird, desto mehr spielt er mit dem Medium. Und desto mehr zieht er den Zuschauer in seinen trostlosen Bann.

Obwohl: am Ende steht die Hoffnung. Die Hoffnung, dass trotz all des ganzes Verdrusses, den man im Leben entgegengeworfen bekommt, es doch schön wird. Auch wenn man sich das manchmal nicht ausmalen kann. Der Regenbogen am Ende des Sturms, das Silver Lining. Deine Filme sind nicht nur melancholisch, sondern auch hoffnungsvoll. Voller Hoffnung, zu erkennen, dass es besser wird. Dass, trotz allem, es die Mühen wert ist. Das Alt-Werden, die Liebe, das Leben.

Dafür danke ich dir.

Dein
Matěj